27.10.2023
Gemeinsam mit dem Würzburger Flüchtlingsrat fordern wir alle Verantwortlichen auf, sich gegen die im Bundeshaushalt 2024 vorgesehenen Kürzungen zu stellen und ein Signal der Menschlichkeit zu setzen, damit in Zukunft ausreichende und flächendeckende Unterstützung für geflüchtete Menschen angeboten werden kann.
Hier der vollständige Text des Würzburger Flüchtlingsrats:
Sehr geehrte Damen und Herren der Bayerischen Staatsregierung,
Sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wir wenden uns an Sie alle in großer Sorge über die absehbaren Folgen des beispiellosen sozialen und gesellschaftlichen Kahlschlags, der im Bundeshaushalt 2024 vorgesehen ist. Was mit viel Engagement und Expertise an Programmen und Strukturen zur Stärkung des Zusammenhalts, zur Unterstützung derer, die Hilfe und Solidarität brauchen und zur demokratisch-politischen Bildung aufgebaut worden ist, soll in Teilen finanziell ausgehungert und damit rückgebaut werden. Eine Gesellschaft, die sich immer mehr spaltet, sollte jedoch mehr in gemeinschaftliches Zusammenleben und Integration investieren und nicht weniger!
Wir als Würzburger Flüchtlingsrat sind uns bewusst, dass die Verwerfungen, die dieser fahrlässige Umgang mit unserer Gesellschaft nach sich ziehen wird, viele Bereiche des Zusammenlebens und der Entwicklungen in unserem Land elementar betreffen werden. In diesem Sinne wollen wir mit diesem Offenen Brief und mit dem damit verbundenen Appell an die Verantwortlichen in der bayerischen Landespolitik stellvertretend am Beispiel des Bereichs, in dem wir tätig sind, aufzeigen, was für unsere Gesellschaft auf dem Spiel steht.
Trotz der deutlich steigenden Zahl an Geflüchteten soll es im Bundeshaushalt 2024 drastische Kürzungen in allen Bereichen geben, die für die Integration dieser Menschen unerlässlich sind: Die Mittel für die Asylverfahrensberatung, die Migrationsberatung und für Psychosoziale Zentren, die traumatisierte und psychisch erkrankte Geflüchtete behandeln und stabilisieren, sollen demnach um 30-60% zurückgefahren werden. Alle diese Bereiche werden schon derzeit nicht annähernd dem Anspruch gerecht, die Geflüchteten so schnell wie möglich mit flächendeckenden Angeboten der Beratung, des Spracherwerbs sowie der Bildungs- und Eingliederungsmaßnahmen zu aktivieren und zu integrieren.
Schon jetzt werden mangels ausreichender Beratungs- und Unterstützungsstrukturen junge ausbildungs- und arbeitswillige Geflüchtete vielerorts lediglich verwaltet, verwahrt und sich selbst überlassen. Das hat individuelle wie auch erhebliche volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen, die angesichts des Mangels an Arbeitskräften und der politischen Entwicklungen in unserem Land nicht tragbar sind. Die Kürzungsvorhaben im Bundeshaushalt 2024 werden die fatale Unterfinanzierung der Integrationsmaßnahmen noch weiter verschärfen und befördern damit genau das Gegenteil von dem, was als notwendig proklamiert und an politischen Zielen formuliert wird! Diese strukturellen Mängel haben jetzt schon gravierende negative Folgen, die künftig für alle noch spürbarer werden.
Eine kluge, vorausschauende Landespolitik, die sich in ihrer Verantwortung für eine gute gemeinsame Zukunft selbst beim Wort nimmt, kann gar nicht anders, als hier selbst entschlossen gegenzusteuern: Sie muss ausgleichend Landesmittel für Beratung, Therapien und Integration bereitstellen, um nicht nur eine weitere Talfahrt bei der Integration Geflüchteter in Bayern zu verhindern, sondern auch um den bereits bestehenden erheblichen Defiziten in der Beratung und bei Therapieangeboten entgegenzuwirken. Denn Menschen verlieren ihre Energie und Gestaltungskraft, Menschen verzweifeln, Menschen wehren sich und reagieren, wenn sie ausgebremst, ihrer Lebensperspektiven beraubt und ohne Entwicklungsmöglichkeit sich selbst überlassen werden. Menschen werden so in eine Abhängigkeit von Transferleistungen gedrängt, die ihnen dann als eigentlich angestrebt und selbstverschuldet angekreidet wird.
Integration wird von den Geflüchteten gefordert, doch mit den geplanten Mittelkürzungen wird politisch aktiv gegen sie gearbeitet! Zweifelsfrei besteht ein Zusammenhang zwischen einer erfolgreichen Integration und den finanziellen und personellen Ressourcen, die es für die Unterstützung der Geflüchteten auf diesem Weg braucht! Wer nicht bereit ist, diese Mittel im benötigten Umfang bereit zu stellen und eine der nachhaltigsten Investitionen in die Zukunft – im Interesse aller – sogar noch reduziert, zeigt damit eindeutig, dass er trotz aller verbalen Bekundungen an einer zügigen und erfolgreichen Integration geflüchteter Menschen kein Interesse hat. Ein politisch wie gesellschaftlich fatales Signal!
Daher sind aus unserer Sicht die genannten Kürzungen mit all ihren Folgen nicht nur ethisch verwerflich; wir können es uns schlicht und ergreifend nicht leisten, das Engagement und das Potenzial dieser Menschen derart fahrlässig versiegen zu lassen und die Geflüchteten – mit all den absehbaren Folgen für deren und unser (Zusammen-)Leben – sich selbst zu überlassen. Es sind Menschen, die unabhängig von jeglichem politischen Willen oft seit Jahren in dieser Gesellschaft leben und es auch noch viele Jahre tun werden! Darauf kann nd muss man – wie auf die absehbaren Folgen aller anderen Kürzungen in sozialen und gesellschaftlichen Bereichen – verantwortungsvoll reagieren!
Daher appellieren wir dringend an Sie alle als mündige Bürger:innen, die diese Folgen einer verhängnisvoll kurzsichtigen und destabilisierenden Politik werden tragen müssen, sich zu Wort zu melden und Schritte einzufordern, die für die einzelnen Betroffenen, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie volkswirtschaftlich überfällig und notwendig sind. Auch die Sozialverbände ermutigen wir, sich noch entschlossener dafür einzusetzen, dass ihre unverzichtbare Asylsozialberatung endlich vollständig und ausreichend aus Landesmitteln finanziert wird. Dies zu verweigern, ist unverantwortlich!
Vor allem aber appellieren wir an Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Bayerischen Staatsregierung und sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete:
Beschließen Sie – flächendeckend ausreichende! – Investitionen in die Beratung und psychosoziale Versorgung der Geflüchteten; jeder Euro ist da bestens angelegt für eine gute Zukunft, die wir doch alle wollen! Tun Sie dies nicht nur, um den bundespolitischen Kahlschlag zu kompensieren, sondern auch, um sich selbst beim Stichwort „Integration“ nicht in die Tasche zu lügen, sondern sich beim Wort zu nehmen. Tun Sie es jetzt, sonst arbeitet die Zeit der Versäumnisse gegen Sie und gegen uns alle!
Gerne stehen wir Ihnen zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung. Bitte schreiben Sie dafür eine E-Mail an die Adresse info@wuerzburger-fluechtlingsrat.de und teilen Sie uns darin Ihre Telefonnummer mit, so dass wir Sie zeitnah anrufen können.
Melissa Silva
für den Würzburger Flüchtlingsrat